Bayerisch Gmain und Prien

Jüdische Kinderlager im
bayerischen Alpenvorland 1946-48

Buchtitel Heimatlos - Displaced Children's Camps in Bayerisch Gmain und Prien
174 Seiten, 21 Abb. s/w
22 x 14,5 cm, Pb.
ISBN 978-3-938286-54-8
ANTOGO Verlag

„Sie hatten nicht überlebt, sie existierten einfach länger als die Konzentrationslager,“ mit diesen Worten beschreibt der Historiker Lawrence Langer die allgemeine körperliche und mentale Verfassung der geretteten europäischen Juden. Unter den Überlebenden befanden sich auch Kinder und Jugendliche, die zum Teil schwer traumatisiert waren und kaum soziale Verantwortung und gefestigte Moralvorstellungen kannten – sie hatten weder eine Schule besucht noch eine Ausbildung absolviert. Ihnen galt die besondere Aufmerksamkeit der jüdischen und internationalen Hilfsorganisationen.

Kinder aus dem zentralen Auffanglager in Rosenheim fordern die frei Einreise nach Erez Israel (Foto: Beit Lochamei Hagetaot)

In der unmittelbaren Nachkriegszeit hielten sich rund 6.000 Jungen und Mädchen ohne Eltern oder andere Angehörige in der US-Besatzungszone auf. Dieser Personenkreis wurde in besonderen Auffanglagern, sogenannten „Children’s Centers“ untergebracht, wie sie etwa in Bayerisch Gmain und Prien nachweisbar sind. Viele Unterlagen, die Auskunft über das Alltagsleben, die Bildungsarbeit und die Verwaltung durch die UNRRA sowie den zionistischen Organisationen in diesen Kinderheimen geben, sind in US-amerikanischen und israelischen Instituten archiviert. Gleichwohl ist dieses kurze Kaptitel der oberbayerischen Regionalgeschichte bislang noch nicht erforscht und dokumentiert.

Das Children’s Center „Jehuda Makabi“ in Bayerisch Gmain

Eine Tafel in englischer und hebräischer Sprache informiert über die neue Nutzung des Hotels „Am Forst“: „Children’s Center Juda Makabi" (Foto: Yad Tabenkin Archive)
Eine Tafel in englischer und hebräischer Sprache informiert über die neue Nutzung des Hotels Am Forst: „Children’s Center Juda Makabi“ (Foto: Yad Tabenkin Archive)

Im Frühjahr 1946 verwandelte sich das Hotel Am Forst in Bayerisch Gmain in einen Zufluchtsort für vom Nationalsozialismus verfolgte Kinder und Jugendliche. Unter den ersten Bewohnern befand sich eine kleine Gruppe von ungarischen Kindern. Weitere Neuankömmlinge folgten, sodass im August 1946 schon 177 Jungen und Mädchen mit 17 erwachsenen Betreuern im Children’s Center „Juda Makabi“ Unterschlupf fanden. Diese Personen, die zunächst vorübergehend im DP-Camp Leipheim (LK Günzburg) untergebracht waren, gehörten der zionistischen Organisation Nocham und der Jugendbewegung Makabi Hazair an.
Sogleich machten sich die Betreuer daran, eine Schule einzurichten: Bereits im November 1946 konnten alle Sechs- bis Dreizehnjährigen die Grundschule besuchen, die nichtschulpflichtigen den Kindergarten, während ihre älteren Kameraden verschiedene berufskundliche Lehrgänge absolvierten. Im Frühjahr 1947 lebten rund 200 Jungen und Mädchen mit ihren Betreuern im Hotel Am Forst und bereiteten sich auf ihre Zukunft in Erez Israel vor. Im Sommer 1947 verließen viele Kinder Bayerisch Gmain, um als Passagiere auf der „Exodus“ nach Palästina zu gelangen – zunächst vergeblich! Nach Gründung des Staates Israel konnten alle Kinder in den neuen Staat einreisen – die letzen verließen Bayerisch Gmain offensichtlich im Sommer 1948. Einige Jungen und Mädchen emigrierten auch in die USA oder nach Kanada.

Nachdem das Children’s Center „Jehuda Makabi“ seine Pforten geschlossen hatte, richtete die International Refugee Organization im Hotel Am Forst ein Rehabilitationszentrum für Tuberkulose-Patienten ein. Das Kurheim bestand vermutlich bis Anfang der 1950er Jahre. Dann wurde das Gebäude an die deutschen Eigentümer zurückgegeben.

Das Internationale Kinderzentrum Prien (Chiemsee)

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Jugendliche bei einer Bootspartie auf dem Chiemsee. Im Hintergund ihre Unterkunft: das Strandhotel (Foto: Archiv Zoltan Farkas)

Mit der Schließung des ersten internationalen Kinderzentrums in Indersdorf (LK Dachau) entstand im Sommer 1946 ein neues Auffanglager für rassisch oder politisch verfolgte Kinder. Das DP-Camp im Kloster Indersdorf hatte von Juli 1945 bis August 1946 bestanden – alle Bewohner und das Personal waren umgesiedelt worden. Am 2. August 1946 kamen die ersten von insgesamt 580 Personen (500 Kinder und 80 Betreuer) an den Chiemsee. Zu diesem Zweck wurden in und um die Gemeinde Prien Hotels beschlagnahmt: das Strandhotel sowie das Seehotel für die Unterbringung jüdischer Jungen und Mädchen, die Häuser Kampenwand und Chiemsee für nichtjüdische Kinder und Jugendliche. Während sich das Hotel Kronprinz in ein Aufnahmezentrum mit angeschlossener Quarantänestation verwandelte, beherbergte man im etwa neun Kilometer entfernten Gstadt in requirierten Villen Säuglinge und Kleinkinder.

Im neuen Children’s Center konnten maximal 600 Jungen und Mädchen Aufnahme finden, doch die Belegzahlen pendelten sich bei durchschnittlich 400 Bewohnern ein. Der Anteil der jüdischen Kinder betrug rund 50 Prozent, darunter eine Gruppe von 50 streng religiösen Kindern und Jugendlichen. Für diesen Personenkreis stand eine separate koschere Küche zur Verfügung. Für die Mädchen wurde eine Bet-Jakob-Schule eingerichtet, für die Jungen eine Talmud-Thora-Schule. Die Gründung dieser Religionsschulen ging auf eine Initiative des chassidischen Rabbiners Halberstam zurück. Darüber hinaus konnten alle Bewohner eine Elementar- sowie eine Berufsschule besuchen.
Das Zentrum schloss im Herbst 1948 seine Pforten. Viele Kinder emigrierten nach Nordamerika: Im Sommer 1948 waren etwa zwei Drittel der jungen Bewohner im Besitz kanadischer Visa.

Die Publikation Heimatlos – Displaced Children’s Camps in Bayerisch Gmain und Prien“ wurde mit freundlicher Unterstützung der Berchtesgadener Landesstiftung (Bad Reichenhall) gedruckt und ist Ende Dezember 2021 erschienen.

Wir konnten folgende Unterstützer gewinnen:

Logo der Berthold Leibinger Stiftung

Logo der Berchtesgadener Landesstiftung

Logo Markt Prien am Chiemsee

Logo Umwelt-, Kultur- und Sozialstiftung im Landkreis Rosenheim

Logo Sparkasse Bürgerstiftung Berchtesgadener Land

Logo Bayerisch Gmain im Berchtesgadener Land

Logo Bezirk Oberbayern

Logo Stiftung Deutsches Holocaust-Museum

Das Projekt widmen wir unserer langjährigen Unterstützerin Charlotte Mittelsten Scheid (1917–2008) und ihrem Bemühen, sowohl den Opfern als auch den Überlebenden des NS-Terrors ihre Würde ein Stück weit zurückgeben zu können.