TV-Feature: In den Ruinen von Nürnberg

 Jüdische Waisenkinder als authentische „Filmstars“

Die Wagenkolonne mit den Kindern fährt über den Hauptmarkt, im Hintergrund die Frauenkirche. (Filmszene aus "The Search", © Praesens-Film, Zürich)
Die Wagenkolonne mit den Kindern fährt über den Hauptmarkt, im Hintergrund die Frauenkirche. (Filmszene aus „The Search“, © Praesens-Film, Zürich)

Kurz nach dem Krieg wurde die Trümmerlandschaft Nürnbergs Schauplatz für den semidokumentarischen Spielfilm „The Search“ (dt. Titel: Die Gezeichneten). In diesem Streifen thematisierte der aus Wien in die USA emigrierte österreichische Regisseur Fred Zinnemann anhand der Odyssee eines kleinen Jungen das schwere Schicksal der vielen Waisenkinder, deren Eltern den Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Die Oscar prämierte Produktion wurde 1948 in den USA uraufgeführt, in Deutschland mit Rücksicht auf eventuelle „Empfindlichkeiten“ erst im Jahr 1961.

In panischer Angst brechen die Kinder aus dem Krankenwagen aus und flüchten sich in die Trümmer. (Filmszene aus "The Search", © Praesens-Film, Zürich)
In panischer Angst brechen die Kinder aus dem Krankenwagen aus und flüchten sich in die Trümmer. (Filmszene aus „The Search“, © Praesens-Film, Zürich)

Eine zentrale Filmsequenz ist die Flucht von einigen Jungen und Mädchen von einem Kindertransport, die inmitten der Nürnberger Altstadt gedreht wurde: Eine Fahrzeugkolonne fährt über den Nürnberger Hauptmarkt. Die Kamera fokussiert einen Krankenwagen und gewährt dem Zuschauer einen Blick in den Innenraum, in dem sich etwa ein Dutzend Kinder befinden. Aufgrund des defekten Auspuffs dringen Abgase ein. In den Gesichtern der Jungen und Mädchen ist ungläubiges Entsetzen zu lesen. Sie befürchten, dass es sich bei dem Transporter um einen der berüchtigten NS-Gaswagen handelt, in denen Hunderttausende von Juden ermordet wurden. Die Kinder geraten in Panik, brechen die Türen auf und flüchten Hals über Kopf durch die zerstörte Stadt. Doch es gelingt den Betreuern, ihre Schützlinge wieder einzufangen; bis auf Karel, einem tschechischen Jungen, der durch einen beherzten Sprung in die Pegnitz schwimmend entkommen kann.

Bei diesen eindrucksvollen Bildfolgen sind markante Orte und Gebäude Nürnbergs zu erkennen: die Kirchtürme von St. Sebald, die Frauenkirche, der Hauptmarkt und die Pegnitz, deren Ufer von Trümmerhaufen und Gebäudeskeletten gesäumt ist.

Nach den Aufnahmen in Nürnberg ging es ins Studio nach Zürich. In den Drehpausen wurde mit den Kindern Ausflüge gemacht. Das Foto zeigt Avri (3. v. l.) und seine Gruppe am Vierwaldstättersee bei Luzern. (Foto: Privat)
Nach den Aufnahmen in Nürnberg ging es ins Studio nach Zürich. In den Drehpausen wurde mit den Kindern Ausflüge gemacht. Das Foto zeigt Avri (3. v. l.) und seine Gruppe am Vierwaldstättersee bei Luzern. (Foto/Repro: Ladany/nurinst-archiv)

Neben dem bekannten US-Schauspieler Montgomery Clift sind auch viele jüdische Waisenkinder als Statisten zu sehen. Diese Jungen und Mädchen warteten in verschiedenen „Jewish Children’s Centers“ wie etwa in Bayerisch Gmain, Ansbach-Strüth oder Rosenheim auf ihre Ausreise nach Palästina. Darunter auch die beiden aus Ungarn stammenden Kinder Joel und Avri, die wie durch ein Wunder die Shoa überlebt haben.

„The Search“ ist ein ausdrucksstarkes Filmdokument, dass einerseits das Schicksal der an Leib und Seele Verletzten nüchtern und einfühlsam erzählt, andererseits aber auch nicht unbedeutsam ist für die filmhistorische Geschichte der ehemaligen „Stadt der Reichsparteitage“, die weitgehend von Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ geprägt wurde.

Anhand der Erinnerungen der damaligen Kinderdarsteller Joel und Avri – die heute hochbetagt in Israel leben – und mit Ausschnitten aus Zinnemanns Film, sowie aktuellen Bildern von den seinerzeitigen Drehorten, entstand das TV-Feature In den Ruinen von Nürnberg, das erstmals am 13.12.2015 im Regional-TV ausgestrahlt wurde. Eine Kooperation des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und der Medienwerkstatt Franken.

Die Dreharbeiten in Israel wurden freundlicherweise von A. & G. Peters sowie der Kost-Pocher’schen Stiftung Nürnberg unterstützt.