Das Pogrom vom 25. März 1934 in Gunzenhausen

Ein Schulprojekt

3938286040g
61 Seiten, 3 Abb. s/w
22 x 14 cm, Broschüre, 2006
ISBN 978-3-938286-04-3
ANTOGO Verlag

Am Palmsonntag (25. März) 1934 war die Stadt Gunzenhausen Schauplatz von Gewalt gegen die jüdischen Einwohner. Ein banales Streitgespräch zwischen dem SA-Mann Kurt Bär und dem jüdischen Kaufmann Sigmund Rosenfelder stand am Anfang. Erste Höhepunkte waren die gewaltsame Entfernung des nicht-jüdischen Landwirts Leonhard Baumgärtner durch die SA aus der Wirtschaft Strauß – seit 1906 im Besitz des jüdischen Gastwirts und Metzgers Simon Strauß – bzw. die Jagd nach einem ehemaligen Mitglied des Reichsbanners, dem jüdischen Kaufmann Jakob Rosenfelder. Die Wirtsleute wurden bedroht, ihr Sohn Julius unter dem Vorwand, Bär angespuckt zu haben, bewusstlos geschlagen. Der Tag endete damit, dass eine johlende Menge (historische Quellen sprechen von bis zu 1.500 Teilnehmern) durch Gunzenhausen zog.

Auszug aus dem Schreiben der NSDAP an Julius Streicher vom 27. März 1934
Auszug aus dem Schreiben der NSDAP an Julius Streicher vom 27. März 1934

Angestachelt von antisemitischen Hetzreden Bärs drang sie plündernd und zerstörend in jüdische Wohnungen ein und trieb die Bewohner unter Schlägen ins Gefängnis. Dort wurden sie teilweise bis zum Abend des nächsten Tages festgehalten und misshandelt. Zwei Gunzenhausener Juden, Max Rosenau und Jakob Rosenfelder, kamen bei den Unruhen unter bislang ungeklärten Umständen ums Leben. Erst das Erscheinen eines höheren SA-Führers (Karl Bär, ein Onkel Kurt Bärs) beendete kurz vor Mitternacht die Gewalt.

Im Juni 1934 wurden Kurt Bär und rund zwanzig Mittäter zu Haftstrafen von bis zu zehn Monaten u. a. wegen Landfriedensbruch und Freiheitsberaubung verurteilt.

Die Gewalt gegen Juden ging jedoch weiter. Im April 1934 wurden Fenster jüdischer Wohnungen und Geschäfte zertrümmert, am 15. Juli 1934 erschoss der immer noch freie Kurt Bär aus Rache für dessen belastende Aussage Simon Strauß und verletzte den Sohn Julius schwer. Im August wurde Bär deshalb zu lebenslänglich plus zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Davon verbüßte er bis zur seiner Begnadigung 1938 lediglich vier Jahre.

War das Pogrom vom März 1934 vor allem die willkürliche Aktion eines fanatischen Nationalsozialisten und Antisemiten oder verdeutlicht es eher die antisemitische Haltung der Bevölkerung von Gunzenhausen bzw. bedingte das Eine das Andere? Ausschreitungen gegen Juden gab es in Stadt und Umland bereits vor 1933, Mittelfranken galt bereits in der Weimarer Republik als Zentrum des Antisemitismus. Der Einfluss des späteren Gauleiters von Franken, Julius Streicher, und seines seit 1923 erscheinendem Hetzblattes Der Stürmer, verfehlte seine Wirkung auf die Bevölkerung sicher ebenso wenig wie zahlreiche belegte Auftritte prominenter Nationalsozialisten in Gunzenhausen von Streicher bis Göring. Auch die Gerichtsverfahren werfen Fragen auf. Wurden die SA-Männer im Rahmen einer halbwegs rechtsförmigen Verhandlung wegen ihrer Taten bestraft oder waren die Urteile Ausdruck des Machtkampfes zwischen SA und NSDAP, der im sogenannten „Röhm-Putsch“ im Sommer des gleichen Jahres seinen Höhepunkt fand? Sahen sich die NS-Machthaber aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung im Ausland gezwungen ein Exempel zu statuieren und weitere Spontanaktionen einzelner SA-Männer zu unterbinden? Wie lässt sich erklären, dass ein Verurteilter auf freiem Fuß bleibt und weitere Gewalttaten begehen kann?

In dem Projekt, das mit einer Gruppe der AG Politik und Zeitgeschichte des Platen-Gymnasiums in Ansbach von Herbst 2003 bis März 2004 durchgeführt wurde, ging es jedoch nicht darum, ausschließlich den Antisemitismus in einer fränkischen Stadt aufzuzeigen. Vielmehr sollte gemeinsam erforscht werden, wie sich das Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden vor und nach 1933 gestaltete und veränderte. 1933 waren von 5.680 Einwohnern 184 (also 3,3 Prozent) Juden, Gunzenhausen besaß eine Synagoge und einen jüdischen Friedhof, Juden waren aktiv am Wirtschaftsleben beteiligt, vor allem im Viehhandel und im Bankwesen.

Bisher noch nicht bearbeitete Quellen zu den Ereignissen vom März 1934 in Gunzenhausen boten den Schülern die Möglichkeit, über das bereits Gelernte hinaus durch die teilweise sehr plastische Darstellung in den einzelnen Akten (Aussagen von Opfern und Tätern, Prozessakten und Berichte) andere Akzente nationalsozialistischer Geschichte kennen zu lernen. Jüdische wie nicht-jüdische Augenzeugen wurden damals von der Polizei ausführlich zu den Ereignissen befragt; die Gesamtheit dieser Aussagen ergibt ein detailliertes Bild des Pogroms.

Im Rahmen des Projektes wurden im November 2003 als Einführung Unterrichtseinheiten zum Thema Antisemitismus in Mittelfranken vor 1933 und der Entwicklung des Nationalsozialismus in Gunzenhausen durchgeführt. Gemeinsam wurden Bild- und Textdokumente zu Wurzeln und Erscheinungsformen des Antisemitismus analysiert. Über die Weihnachtsferien 2003/2004 beschäftigten sich die Schüler mit den Prozessakten. In verschiedenen Treffen wurde ab Januar 2004 das Pogrom gemeinsam rekonstruiert. Dabei spielte der Bereich der Quellenkritik eine wichtige Rolle. Anfang März 2004 wurden im Rahmen einer Exkursion nach Gunzenhausen die Ereignisse in der Stadt lokalisiert. Passanten wurden dazu befragt, die einzelnen Schauplätze des Pogroms anhand von Fotos dokumentiert.

Am spannendsten war für die Ansbacher Schüler jedoch, dass der „Hauptschuldige“ des Pogroms, Kurt Bär, von April bis August 1930 Schüler der Oberrealschule Ansbach – heute Platen-Gymnasium Ansbach – gewesen und im hauseigenen Schularchiv noch die Schülerakte Bärs zu finden ist. Zum 70. Jahrestag des Pogroms am 25. März 2004 gestalteten die Schüler daher zwei Stellwände, auf denen sie mit Hilfe von Bildmaterial aus dem Stadtarchiv Gunzenhausen, eigenen Fotografien, den für sie aussagekräftigsten Zitaten aus den Akten und einer selbst erstellten Chronologie die Ereignisse dokumentierten.

Einer dieser Schüler schließlich vertiefte diese Untersuchungen mit einer Facharbeit über die traurigen Geschehnisse in der Altmühlstadt.

Diese Arbeit steht im Mittelpunkt der von Heike Tagsold herausgegebenen Broschüre Was brauchen wir einen Befehl, wenn es gegen die Juden geht?.