Das jüdische DP-Camp Ainring (Obb.) 1945–47

Hitlers Flugplatz verwandelte sich in einen Zufluchtsort für Überlebende der Shoa

Flugleitungsgebäude und Hangar von „Deutschlands schönsten Gebirgsflughafen Ainring bei Freilassing/Obb.“. (Postkarte aus den 1930er Jahren)

Der „schönste Gebirgsflughafen“ in Ainring, wie die Nationalsozialisten den Fliegerhorst im Berchtesgadener Land nannten, wurde 1933/34 erbaut – als Landeplatz zur nahegelegenen Residenz Adolf Hitlers auf dem Obersalzberg. Einige Jahre später entstand auf dem „Regierungsflughafen“ eine Luftwaffenkaserne mit Unterkünften für rund 1.000 Soldaten, die jedoch von 1940 bis 1945 von der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug (DfS) genutzt wurden. Ab Oktober 1945 dienten die Baracken als Erstaufnahmelager für Tausende von jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa. Diese Menschen hatten in den NS-Lagern, im Untergrund, bei den Partisanen oder in der Sowjetunion überlebt und waren auf dem Weg nach Palästina oder Übersee. Für sie gab es in Europa keine Zukunft mehr.

Das Eingangstor zum Camp. (Foto: Archiv Mark Zwischenberger)

Der Staat Israel existierte jedoch noch nicht und die klassischen Emigrationsländer wie die USA, Kanada oder Australien verweigerten den Shoa-Überlebenden zunächst die Einreise. Daher mussten bis zu 200.000 osteuropäische Juden im besetzten Deutschland ausharren. Für sie hatten die Alliierten Displaced Person Camps errichtet, wie sie etwa in Landsberg, Föhrenwald, Feldafing, Pocking, Stuttgart, Ulm, Frankfurt oder in Berlin nachweisbar sind. Diese Camps bestanden bis zum Ende der 1940er Jahre; viele ihrer Bewohner hatten diese „Wartesäle“ über das Erstaufnahmelager Ainring erreicht. Teilweise lebten dort um die 3.000 „infiltrees“, die vor Pogromen zumeist aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern geflüchtet waren und temporären Schutz in den DP-Lagern der alliierten Besatzungsmächte suchten.

Der Kindergarten war im Hangar des Flugplatzes Ainring untergebracht. (Foto: Archiv Mark Zwischenberger)

Trotz der hohen Fluktuation entwickelte sich Ainring zu einer kleinen jüdischen Stadt inmitten des Landes der Täter. Es wurden eine Volks- und Berufsschule aufgebaut, Sportvereine gegründet, eine Synagoge errichtet, ein kleines Hospital eröffnet und eine gewählte Selbstverwaltung initiiert. Diese etablierte eine eigene Polizei sowie eine Lagergerichtsbarkeit – es kam zu einer einzigartigen Wiedergeburt der fast vollständig vernichteten Kultur der osteuropäischen Juden. Über die Situation in Erez Israel, Emigrationsmöglichkeiten nach Übersee, die allgemeine politische Weltlage und den Lageralltag berichtete die im nahegelegenen DP-Camp Bad Reichenhall edierte und verlegte jiddischsprachige Lagerzeitung „Der Morgn“.

Im Herbst/Winter 1947 wurde das Camp Ainring aufgelöst, die Bewohner kamen in eine neue Unterkunft, nämlich ins Lager Lechfeld bei Augsburg. In den rund zwei Jahren seines Bestehens wurden Tausende von jüdischen „infiltrees“ durch das Transitlager Ainring geschleust, in einem besonderen Bereich lebten rund 300 Personen sogar für längere Zeit im Camp.

Auch wenn die deutsche Geschichtsforschung sich in den letzten Jahren verstärkt den „Assembly Centers“ für Überlebende der Shoa widmet, ist die wichtige und zentrale Einrichtung in Ainring bislang nicht wissenschaftlich erforscht und dokumentiert. Aussagekräftige Quellen sind jedoch insbesondere in jüdischen Institutionen in Israel, Kanada und den USA archiviert.

Nach Abschluss der Recherchen werden die Ergebnisse Ende des Jahres 2024 in unserer Reihe „Studien zur Regionalgeschichte“ veröffentlicht.

Daten und Fakten zum Camp Ainring finden Sie in unserem DP-Internetlexikon: Ainring – Jüdisches DP-Lager | Jewish DP Camp

Ein wissenschaftlicher Überblicksaufsatz ist kürzlich erschienen:
Jim G. Tobias, Ein jüdischer Wartesaal auf Hitlers Gebirgsflughafen. Das Displaced Persons (DP) Assembly Center in Ainring, in: Elke Gryglewski (Hg.), Perspektiven der NS-Geschichte. Zur Bedeutung von Überlebenden, Verfolgung von Minderheiten und Religiosität in den Lagern sowie zum Umgang nach 1945 (Wallstein Verlag), Göttingen 2023, ISBN 978-3-8353-5270-4, 24,00 €.

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