Max Uri

Max Uri
Max Uri 2006 in seiner Wiener Wohnung (Foto: Peter Roggenthin)

empfängt uns in seiner gemütlichen Wiener Wohnung und zeigt uns voller Stolz seinen damaligen Reisepass mit dem großen roten Buchstaben „J“, der für Jude steht, und den Einreisestempel nach Tel Aviv aus dem Jahr 1939.

Max Uri wurde 1921 in Wien im 1. Bezirk geboren. Seine Familie war sehr strenggläubig; dies nahm dann aber mit der Zeit etwas ab. Max ist noch etwas religiös, sein Bruder fast gar nicht mehr und seine Schwestern sind es überhaupt nicht mehr.Früher ging die Familie jeden Sonntag zusammen zum Großvater, dem Familienoberhaupt. Wenn er daheim war, war Stille im Haus und Kinder sprachen die Großeltern nur in dritter Person an. In Wien bekam Max bereits in der Volksschule etwas vom Antisemitismus mit. Es wurden oft Hassreime gerufen. Von den Lehrern gingen jedoch kaum Diskriminierungen aus. Dann besuchte er die Handelsakademie, wo offen auftretende Nazis studierten. Aus irgendwelchen Gründen mochten sie Max aber trotzdem leiden. Max Uri hat drei Geschwister, zwei Zwillingsschwestern und einen Bruder, der jetzt in Amerika wohnt. Die Familie besaß das große Konfektionsgeschäft „Uri und Zwick“, das in der Stadt sehr beliebt war. Nachdem Hitler einmarschiert war, musste sie dies aufgeben. Max Uris Großvater war 1870 von Polen nach Wien gekommen, in Polen aber nur jüdisch getraut worden. Deshalb musste er in Wien noch mal heiraten. Er hatte eine große Kleiderkonfektion, mit der er das Militär belieferte. Sein Vater machte sich in derselben Branche selbstständig; seine Onkel hatten ebenfalls Konfektionsgeschäfte.

„Ich begann mit dreizehn Jahren mit dem Sport bei der Hakoah. Damals trieb ich Leichtathletik. Beim Fußball schaute ich nur zu. 1936 erreichte ich den 2. Platz in der Österreichischen Jugendmeisterschaft über 1.500 Meter. Ich weiß nicht mehr, wie schnell ich da war, aber 100 Meter habe ich in 12 Sekunden geschafft. Auch wenn ich aus einem sehr orthodoxen Elternhaus kam, hatte ich keine Schwierigkeiten, Sport zu treiben. Ich trainierte damals zwei Mal in der Woche mit dem Trainer Bierbrauer, der auch die besten Läufer Egon Kalb, Eric Feuer und Wilhelm Kaiser trainierte. Sie gewannen oft die Österreicherische Meisterschaft. Außerdem machten wir jeden Sonntag ein- bis zweiständige Waldläufe. Wir sindaußerdem sonntags zum Match der Hakoah-Fußballmannschaft auf deren Platz gefahren. Dort gab es jedes Mal Schlägereien mit den antisemitischen Zuschauern.“

Als sein Vater starb, war Max zehn Jahre alt. Seine zionistische Mutter wollte mit den Kindern nach Palästina emigrieren, doch der Großmutter zu Liebe blieb die Familie in Wien. Erst als Hitler einmarschierte, wurde der Ernst der Lage offensichtlich. Die jüdischen Geschäftsleute versuchten, alles schnell zu verkaufen. Am 10. November kam die Gestapo in den Laden von Max Uris Familie und fragte nach dem Chef. Max Uri meldete sich, worauf die Beamten die Schlüssel verlangten. Als Max sich weigerte, ihnen seine Schlüssel zu geben, schlugen sie ihn zusammen und nahmen ihm die Schlüssel weg. Die Anweisung erfolgte: „Sie haben das Geschäft nicht mehr zu betreten!“ Max Uris Familie bekam keine staatliche Unterstützung, deshalb war die Mutter gezwungen, Möbel und anderes zu verkaufen. Sie hatten kein Geld, aber auch keine Steuerschulden, die eine Ausreise erschwert hätten.

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Reisepass von Max Uri (Repro: Peter Roggenthin)

Max Mutter ging deshalb zur Gestapo, erklärte die Situation und beantragte Pässe. Die Antwort war: „Es tut uns Leid, aber Sie lassen wir nicht heraus! Ihren Kindern werden wir Pässe geben. Sie aber bleiben hier!“ Infolgedessen bekamen die Kinder deutsche Pässe. Max Uris Geschwister fuhren nach England und von dort nach Amerika. Max entschied sich für Palästina.

„Die Ankunft 1939 mit dem Schiff in Haifa war erhebend, denn endlich war ich im lang ersehnten gelobten Land. Die Mitschüler wie der Direktor der Landwirtschaftsschule, die ich besuchte, mochten mich sehr gern. Es war natürlich nicht leicht, da alle schon perfekt hebräisch sprachen und ich nur wenig Hebräisch konnte. In Wien war ich bei der religiös-zionistischen Organisation Misrachi gewesen. Dort haben wir gesungen, Ausflüge gemacht und ein wenig Hebräisch erlernt. Dadurch wusste ich schon über das Land Bescheid, als ich in Palästina ankam. Ich hatte dort sehr viele Verwandte. Meine Freundin, die ich schon in Wien kannte, war auch nach Palästina emigriert. Ihr Vater war im KZ gewesen, wurde entlassen und hatte eine Einreiseerlaubnis, mit der er und seine ganze Familie nach Palästina fuhren. Dies wusste ich jedoch nicht, weil es zu gefährlich war, anderen mitzuteilen, dass man flüchtete. In Erez Israel angekommen, traf ich somit auf der Hauptstraße in Haifa zufällig meine Freundin wieder! In Wien hatteaußer meiner Mutter niemand gewusst, dass wir „miteinander gingen“, da das in unserem Alter nicht üblich war. In Palästina waren die Sitten jedoch liberaler und wir besuchten uns oft.“

Vier Monate vor der Abschlussprüfung kam ein englischer Offizier zu Max und wollte ihn zum Eintritt ins Militär überreden. Er sagte, dass es sehr dringend sei. Max Uri musste zu seinem Direktor gehen, damit der ihn von der Schule gehen ließ. Dieser schickte ihn zu seinem Onkel und Vormund nach Tel Aviv. Der Onkel meinte nur knapp: „Wenn man dir gesagt hat, dass du gehen musst, dann geh!“ Dort angekommen, standen nach der Erinnerung von Max Uri nicht einmal genügend Gewehre zur Verfügung, von Kanonen ganz zu schweigen. Nur jeder zweite Rekrut bekam ein Gewehr. Wenn die Deutschen dies gewusst hätten, so Max Uri, hätten sie ganz Palästina mit einem Flugzeug und ein paar Fallschirmjägern einnehmen können. Viele Araber hofften laut seiner Einschätzung, dass die Deutschen kämen, um die Juden umzubringen. Max war über fünf Jahre beim Militär und wurde dann schwer verletzt. Kurz vor seiner Militärszeit hatte er geheiratet und seine Frau wurde bald schwanger.

„Dann wurde ich entlassen und hatte Schwierigkeiten, eine halbwegs adäquate Arbeit zu finden. Ich bewarb mich umsonst für sämtliche Jobs und erzählte jedes Mal, dass ich längere Zeit beim Militär gewesen war. Als mir dann gesagt wurde: ‚Ach, du gehörst auch zu den Faulenzern, die lieber zum Militär anstatt arbeiten gegangen sind!‘, riss mir der Geduldsfaden. Ich entschloss mich, es war im Jahr 1947, mit meiner Familie nach Wien zurückzukehren. Meine Schwiegereltern gingen ebenfalls zurück nach Wien. Mein Schwiegervater besaß bald wieder ein gut florierendes Pelzgeschäft. Der Hauswart meinte: ‚Ich hatte immer das Gefühl, dass Sie wiederkommen und habe es nicht weiter vermietet!‘ Ich inserierte dann in vielen Zeitungen und viele ehemalige Kunden wunderten sich, warum der Laden die ganze Zeit über in der Versenkung verschwunden war, da sie nicht wussten, dass es ein jüdisches Geschäft war. Bis vor einigen Jahren machten wir gute Geschäfte, doch dann kamen die Grünen und ruinierten die Pelzbranche. Wir besitzen den Laden noch immer und sind schon 85 Jahre auf demselben Platz im 16. Bezirk.“

Max Uri ist bei gesellschaftlichen Hakoah-Treffen dabei, sportlich jedoch nicht mehr. Während seiner Militärzeit und später hatte er noch lange Sport getrieben, sodass er fit blieb. Sein Sohn leitet heute die Basketballmannschaft der Hakoah. Dort sind viele russische und israelische Kinder organisiert, richtige Wiener Kinder sind die Ausnahme. Heutzutage geht Max auch nicht mehr auf den Fußballplatz, aber wenn ein gutes Match stattfindet, schaut er es sich im Fernsehen an.

Ehrenamtlich organisiert Max regelmäßig das Morgen-Minjan. Damit ein jüdisches Gebet gültig ist, müssen mindestens zehn Männer anwesend sein. Von der eigenen Gemeinde kann er jedoch nicht genügend Gläubige auftreiben, also müssen Leute dafür bezahlt werden. Sechs Männer muss er mit je 160 € im Monat entlohnen, aber wenn diese nicht da wären, könnte nicht gebetet werden. Max Uri ist außerdem einer von acht Mitgliedern des Tempelvorstands.

Interview und Text: Peter Zinke