Kitty Schrott

Kitty Schrott 2006 am Rande Wiens (Foto: Peter Roggenthin)

ist so etwas wie die „gute Seele“ der Hakoah Wien. Sie kennt fast alle Namen, Telefonnummern und sogar E-Mail Adressen der „alten“ Hakoah-Aktivisten und stellt uns diese gern zur Verfügung.

Kitty Schrott wurde 1934 in Wien geboren, wuchs aber während ihrer ersten vier Lebensjahre in Laa an der Thaya auf, einem Städtchen an der tschechisch-österreichischen Grenze im Weinviertel. 1938 zog ihre Familie nach Wien und  wanderte 1940 aus.

„Ich erinnere mich, dass besonders die zweite Wohnung, die wir in Wien bezogen hatten, etwas ärmlicher war, aber da standen auch schon die Ausreise-Kisten herum. Diese kamen zu einem Spediteur, und eine Cousine meines Vaters, die bereits in Palästina lebte, kümmerte sich dann um den Transit und die Bezahlung. In den Kisten war Geschirr, Tischwäsche und Bettwäsche. Zu dieser Zeit haben Frauen ja für die Aussteuer sehr viel gestickt und genäht, in den Kisten waren also die ganze Aussteuer meiner Mutter und meiner Großmutter. Und das half uns am Anfang zu Geld zu kommen, indem wir Kristall und Serviceteile und Bettzeug sowie Tischtücher und Tischservietten verkauften. Und ich kann mich natürlich erinnern, dass Juden Vieles nicht durften und von vielen Lokalitäten ausgesperrt waren. Ich erinnere mich auch, wie ich mit meinem Großvater im Prater spazierte und aus antisemitischen Gründen verjagt wurde.“

Kittys Familie war traditionell religiös; ihr Großvater war sehr fromm. Er hielt alle Gesetze genau ein und erwartete das auch von seinen Söhnen. Der Großvater prägte Kitty religiös, denn er kam jeden Tag an ihr Bett und sprach abends mit ihr ein Gebet. Genauso hält Kitty Schrott dies heute mit ihren Enkeln. Sie aßen damals auch kein Schweinefleisch und hielten die Feiertage genau ein. Kittys Großvater war kein sehr gebildeter Mensch, sondern Pferdehändler. Aber er besaß viel Lebenserfahrung. Ihr Vater und ihr Onkel hatten denselben Beruf. Den mussten sie natürlich aufgeben, als sie von Laa an der Thaya wegzogen. Kitty erinnert sich auch daran, wie ihre Mutter an dem Tag im März 1938, an dem Juden gedemütigt wurden und etwa mit Zahnbürsten die Gehwege schrubben mussten, heimkam und alles erzählte. Und an die sogenannte Kristallnacht, wo die Tempel brannten. Ihre Eltern und sie, zwei Onkel und die Großeltern beschlossen, gemeinsam auszuwandern. Weil ältere Menschen von fast keinem Land aufgenommen wurden, fuhren sie schließlich 1940 nach Palästina los. Zuerst ging es mit dem Schiff Schönbrunn von Bratislava in Richtung des rumänischen Schwarzmeerhafens Tulcea und vom Schwarzen Meer dann mit dem Schiff Atlantik Richtung Palästina. Die Familie kam im Herbst 1940 in Palästina an, wo schon das Schiff Patria auf sie wartete. Auf diesem Schiff sollte man sich angeblich rituell reinigen, bevor man das heilige Land betrat. In Wirklichkeit war vorgesehen, die Emigranten weiter nach Mauritius zu bringen. Die Hagana sprengte das Schiff am 25. November aus Widerstand dagegen, aber es sank schneller als geplant und über 250 Emigranten ertranken. Nach einer Woche des Wartens wurde Kittys Familie auf die Schiffe Nieuw Zeeland und Johan de Witt verfrachtet und nach Mauritius gebracht.

„Mauritius war damals eine englische Kolonie und somit unterstanden wir englischer Aufsicht. Und es gab historische Gefängnisbauten, richtige Gefängnisblöcke aus der Zeit Napoleons, in denen die Männer hausten. Für die Frauen wurden Wellblechbaracken gebaut. Dort wohnten etwa 30 Frauen in einer Baracke. Die Kinderbaracken, wo Mütter mit Kindern untergebracht waren, hatten ähnliche Belegzahlen. Mit der Zeit richtete man eine Schule ein, es gab Werkstätten, man versuchte sich in handwerklichen Dingen. Insgesamt befanden sich bis zu 1.500 Menschen auf Mauritius. Mein Vater betrieb sogar ein Lager-Kaffeehaus. Es gab jemanden, der Kaffee brannte, einen zweiten, der Mehlspeisen backte und wir hatten irgendwoher Kaffee. Später hat meine Großmutter auch gekocht. Es gab zum Beispiel Corned Beef, daraus machte meine Großmutter Corned-Beef-Knödel. So wie wir bei uns jetzt Marillenknödel um diese Jahreszeit machen, gab es die Früchte Guaven und somit Guavenknödel. Aus Ananasschalen wurde Wein hergestellt. Hierzu brachte man die Schalen im Wasser zum Gären. Wir schmuggelten Hühner ins Lager, denn dies war offiziell nicht erlaubt. Daraus kochte meine Großmutter Suppe mit selbstgemachten Nudeln. Das war eine Delikatesse, die verkauften wir vor allem an geschwächte junge Mütter. Ich habe die Atmosphäre als gemütlich in Erinnerung. Ich kannte auch nichts anderes, war unter Kindern, war in der Schule, Pfadfinderin und absolvierte meine Pfadfinderprüfungen, schürte Lagerfeuer und fuhr mit den Pfadfindern ans Meer. Wenn Sie jemanden fragen, der heute 80 ist und dort war, der erzählt das ganz anders. Den Kindern ging es nach ihrer damaligen kindlichen Wahrnehmung gut. Dass es für manche Ältere furchtbar war, wurde mir erst im Erwachsenenalter durch Erzählungen deutlich. Von damals blieb mir in Erinnerung, wie die Alten über die tropischen Verhältnisse klagten. Und es gab natürlich Krankheiten wie Typhus, an denen viele Insassen starben. Mein Onkel hatte die Ruhr. Fast alle Leute hatten Malaria bis auf drei oder vier, unter denen meine Mutter war. Hinzu kam noch die Kinderlähmung. Schließlich gab es auch noch Haie, die Insel ist von einem Riff umgeben. Während der Ebbe kann man zu Fuß bis zu diesem Riff gehen. Einen kleinen Hai hat es bei Flut über dieses Riff gespült und mein Mathematik- und Englischlehrer wurde gebissen. Trotzdem habe ich Mauritius in positiver Erinnerung.“

Als Kitty 1945 endlich in Palästina ankam, war sie elf Jahre alt. Das gelobte Land war es nicht für sie. Vom Ankunftstag erinnert sie sich nur noch daran, dass ihre Familie nach Tel Aviv fuhr, weil sie dort Verwandte hatte. Sie lebten dann aber nicht in Tel Aviv, sondern in der Siedlung Rechovot. Dort fanden sie innerhalb kürzester Zeit eine Wohnung und Vater wie Onkel kamen beim englischen Militär unter. Dann siedelten sich Kitty und ihre Familie in Holon südlich von Tel Aviv an. Dort hatten sie zwei Wohnungen mit je einem Zimmer, einer Küche und einer Dusche mit Klo. Doch finanziell war die Situation sehr angespannt. Vater und Onkel arbeiteten bei den Engländern in einer Schraubenfabrik. Zusätzlich handelte der Onkel mit Stoffen und verkaufte Zigaretten in der Siedlung. Darüber hinaus hatte die Familie sogenannte Kostgänger, die Großmutter kochte und zwei, drei Herren aßen abends bei ihnen. Die Mutter ging in Privathäuser, um zu flicken. Wenn jemand eine Nähmaschine hatte, flickte sie dort Hemden. Und Kitty erinnert sich noch genau: Das erste Mal, als sie arbeiten ging, da weinten sie und der Vater. Dass damals eine Frau arbeiten ging und nicht den Haushalt führte, war nicht so selbstverständlich. Es war eine Frage der Ehre jedes Mannes, es zu ermöglichen, dass die Frau zu Hause sein konnte.

„In Österreich bekam meine Familie innerhalb ziemlich kurzer Zeit zwei Häuser in Laa und etliche Äcker restituiert. Mein Vater und mein Onkel begannen 1947 dort auf dem Land wieder einen Pferdehandel. Sie hielten sich aber, weil sie nicht als einzige Juden in Laa an der Thaya fest wohnen wollten, abwechselnd dort auf. Sie handelten mit Nutzpferden und als der Traktor dann immer mehr überhandnahm, war dieses Geschäft zu Ende. Entscheidend für die Rückkehr war für uns also der ökonomische Aspekt, denn es ging uns in den Jahren 1948 bis 1960 in Österreich wesentlich besser als wenn wir in Israel geblieben wären. Ich war auf Mauritius und in Israel auf mehreren Schulen, bis ich dann im Oktober 1947 wieder in Wien ankam. Ich ging bis zum 14. Lebensjahr in eine Wiener Hauptschule und war ein sehr braves Kind mit keinen eigenen Berufsvorstellungen. Deshalb sagte mein Papa, naja, sie soll etwas lernen, ein bisschen kaufmännisch und Haushalt. Und eine Freundin unserer Familie schlug die Hotelfachschule vor.“

Kitty entstammt einer völlig unsportlichen Familie, ihr Vater war ein Kaffeehausjude. Aber sie hatte auf Mauritius mit Erwin Sitzmann einen tollen Turnlehrer. Dem begegnete sie auch in Wien wieder und begann bei der Hakoah mit dem Turnen. Ihr Mann Herbert Schrott war schon vor dem Krieg bei der Hakoah gewesen, aber als junger Bursche eher, um Mädchen abzuschleppen und nicht, um viel Sport zu betreiben, was ihm bis heute leid tut. Nicht, dass er Mädchen kennenlernte, sondern, dass er kaum Sport betrieb. Damals hatten die Schrotts einen Freund, der Kassier bei der Hakoah war, und der forderte sie auf, die Kinder zum Schwimmen zu bringen. So kam die Familie Schrott dann auch zu den Schwimmabenden. Als die Kinder langsam flügge wurden, hatte Kitty Schrott die Idee, Hakoah-Wanderungen zu machen. Sie organisierte zweimal im Jahr eine solche Wanderung, bei der anfänglich bis zu 40 Personen mitmarschierten. Das währte ziemlich lang, bis vor einigen Jahren, dann schlief das Ganze ein. Dann hatte sie die Idee eines monatlichen Hakoah-Treffens in einem Kaffeehaus. Das existiert noch immer, jeden ersten Samstag im Monat im Café Schottenring.

„Nach 1947 war der Antisemitismus nicht weggeblasen, aber gewalttätigen Antisemitismus erlebte ich nach dem Krieg persönlich nicht mehr. Es passiert manchmal in christlichen Kreisen, in befreundeten sogar, dass irgendjemand in meiner Gesellschaft so jiddelt und dann frage ich nachher meinen Mann, habe ich denn in irgendeiner Form gejiddelt? Ich bemühe mich immer, Hochdeutsch zu sprechen. Wenn Leute plötzlich in einen Singsang verfallen, wenn sie über uns reden, bin ich sehr hellhörig. Das muss nicht unbedingt feindlich gemeint sein, ich weiß es nicht. Es ist halt so. Auch sonst gewöhnt man sich daran, einer Minderheit anzugehören und sein Leben in gewisser Weise ausgegrenzt zu leben. Ich machte nie mit meinem  Judentum Reklame und band es niemandem auf die Nase.“

Interview und Text: Peter Zinke